Experten-Interview: Wirkprinzip von Rückenorthesen

Wie wirkt eine Rückenorthese, was ist der Nutzen und wann sollte man sie tragen? Jana Rogoschin, Expertin für Biomechanik & Össur Clinical Specialist Bracing and Support – Medical Office, beantwortet Eure Fragen zu Rückenorthesen.

Was genau passiert im unteren Rücken, wenn ich eine Rückenorthese anlege?

Eine Orthese stabilisiert die Lendenwirbelsäule, indem sie das Bewegungsausmaß in verschiedenen Richtungen, wie Vor- und Zurückbeugen, Seitneigen und Drehen, einschränkt. Diese Stabilisierung verhindert übermäßige Bewegungen der Wirbelsäule, was besonders wichtig ist, wenn bereits Probleme wie Verschleiß oder Schmerzen bestehen oder bestimmte Bereiche nach einer Operation geschützt werden müssen.

Ein zentraler Vorteil vieler Rückenorthesen ist die Fähigkeit zur sogenannten Entlordosierung. Dabei wird die übermäßige Krümmung im unteren Rücken (Hyperlordose), die oft bei Hohlkreuz und damit verbundenen Beschwerden auftritt, gezielt reduziert. Dies führt zu einer Entlastung der Bandscheiben und sorgt für eine gleichmäßigere Verteilung der Belastung auf die Wirbel. Besonders bei Schmerzen, die durch eine verstärkte Lendenkrümmung verursacht werden, kann dies eine spürbare Linderung bringen.

Zusätzlich entlastet die Orthese die Muskulatur im unteren Rücken. Normalerweise sind die Muskeln ständig damit beschäftigt, die Wirbelsäule zu stabilisieren. Durch die externe Unterstützung der Orthese müssen die Muskeln weniger arbeiten, was durch eine verbesserte Durchblutungssituation Verspannungen lindern und die Erholung bei Überbelastungen oder Verletzungen unterstützen kann.

 

Haben Rückenorthesen und Rückenbandagen das gleiche Wirkprinzip?

Im Gegensatz zu Rückenorthesen wirken Rückenbandagen vornehmlich über Kompression. Sie üben Druck auf die Haut und das Weichteilgewebe wie beispielsweise Muskeln aus, wodurch die Propriozeption (Eigenwahrnehmung über Position und Bewegungen des Körpers im Raum) verbessert und die muskuläre Aktivität durch einen neuromuskulären Effekt gefördert wird. Dies führt zu einer leichten Stabilisierung durch die Stärkung der Eigenwahrnehmung und durch die Aktivierung der tiefliegenden Rückenmuskulatur. Bandagen bieten jedoch keine signifikante Einschränkung der Beweglichkeit und keine mechanische Entlordosierung. Ihre Wirkung ist weniger strukturell und dient vor allem der Unterstützung der natürlichen Stabilisierung der Muskulatur.

Demnach lässt sich zusammenfassend sagen, dass Orthesen eine umfassendere mechanische Unterstützung bieten, insbesondere durch die Möglichkeit, gezielt auf die Haltung der Wirbelsäule einzuwirken und die Lendenlordose (Krümmung der Lendenwirbelsäule) zu verringern. Bandagen hingegen wirken hauptsächlich durch Kompression und propriozeptive Rückkopplung, ohne die Wirbelsäule in gleichem Maße zu stabilisieren oder strukturell zu beeinflussen.

Was ist das Besondere am Seilzug-Prinzip?

Das Besondere am Seilzug-Prinzip bei Lumbalorthesen ist die effiziente und gleichmäßige Anpassung der Stützfunktion. Durch das Seilzug-System kann die Orthese individuell und mit geringem Kraftaufwand an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Der Zugmechanismus sorgt dafür, dass der Druck auf den unteren Rücken gleichmäßig verteilt wird, ohne dass die Orthese manuell an mehreren Stellen eingestellt werden muss. Dies ermöglicht eine gute Anpassung an den Körper, fördert eine bessere Stabilisierung und erhöht den Tragekomfort.

Zudem bietet das Seilzug-Prinzip eine effiziente Dosierbarkeit der Kompression. Je nach Bedarf kann der Zug mehr oder weniger fest eingestellt werden, was vor allem bei wechselnden Belastungen oder bei unterschiedlichen Schmerzintensitäten vorteilhaft ist. Diese einfache und schnelle Handhabung macht das System besonders benutzerfreundlich und praktisch im Alltag, da die Anpassung der Orthese sehr schnell adaptiert werden kann.

Muss ich die Orthese immer/dauerhaft tragen?

In welchem Ausmaß die Orthese getragen werden muss, hängt von der Art der Erkrankung, dem Heilungsverlauf und der Funktion der Orthese ab. Dabei ist es wichtig, zwischen akuten und post-operativen Zuständen zu unterscheiden und die Rolle der Aktivität zu berücksichtigen.

Bei akuten Rückenschmerzen, die beispielsweise durch muskuläre Überlastungen oder Bandscheibenprobleme verursacht werden, dient die Orthese in erster Linie dazu, den Rücken für einen begrenzten Zeitraum zu stabilisieren und Strukturen zu entlasten. Die Orthese reduziert das Bewegungsausmaß, lindert Schmerzen und gibt dem Gewebe Zeit zur Heilung. In solchen Fällen wird die Rückenorthese nur vorübergehend getragen, bis die akuten Beschwerden abgeklungen sind. Sobald die Schmerzen nachlassen, ist es jedoch auch wichtig, die Rückenmuskulatur wieder zu stärken.

Ziel ist es, durch gezielte Bewegung und Training die natürliche Stabilität des Rückens wiederherzustellen. Beispiele für solche Rückenübungen findest Du hier: https://www.ossur.com/de-de/orthetik/online-ratgeber/rueckenuebungen

Bei post-operativen Zuständen, wie etwa nach einem Bandscheibenvorfall oder einer Wirbelsäulenoperation, wird die Rückenorthese ebenfalls für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt. Sie schützt die operierten oder geschwächten Strukturen und unterstützt den Heilungsprozess, indem sie Bewegungen einschränkt, die Wirbelsäule stabilisiert und ggf. eine Haltungskorrektur fördert. In der Regel wird die Orthese nach einer Operation für mehrere Wochen bis Monate getragen, je nach Art des Eingriffs und ärztlicher Empfehlung. Auch hier steht die schrittweise Rückkehr zur vollen Aktivität im Vordergrund, begleitet von Physiotherapie und gezieltem Training zur Stärkung der Rückenmuskulatur.

Wie aktiv darf bzw. sollte ich mich mit der Rückenorthese sein?

In beiden Fällen, ob akut oder post-operativ, spielt die körperliche Aktivität eine zentrale Rolle. Während die Orthese in der Akutphase und nach einer Operation die Stabilität sicherstellt und ggf. die Haltung beeinflusst, sollte im Laufe der Zeit der Fokus auf den Wiederaufbau der Rückenmuskulatur gelegt werden. Durch regelmäßige, schonende Bewegung und Physiotherapie kann die Rückenmuskulatur gestärkt werden, was die Notwendigkeit des ständigen Tragens der Orthese verringert. Langfristig ist es ideal, die Orthese nur noch in Situationen erhöhter Belastung zu tragen, etwa beim Heben schwerer Lasten oder bei sportlichen Aktivitäten, und den Rücken durch eigene Muskelkraft zu stabilisieren.

Gibt es bestimmte Situationen, in denen man eine Rückenorthese tragen sollte?

Bei wiederkehrenden Rückenschmerzen oder chronischen Beschwerden kann die Orthese auch eine wichtige Rolle in der Prävention spielen. In diesen Fällen wird sie nicht ständig, sondern bei bestimmten Aktivitäten oder Belastungen verwendet, etwa beim Heben schwerer Lasten, bei langem Sitzen oder bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten.

So unterstützt die Orthese den Rücken gezielt in belastenden Momenten und hilft, erneuten Beschwerden vorzubeugen. Gleichzeitig ist es von großer Bedeutung, durch regelmäßige Bewegung, gezielte Übungen und eine aktive Lebensweise die Muskulatur zu stärken und den Rücken langfristig zu stabilisieren. So kann die Orthese gezielt eingesetzt werden, ohne dauerhaft auf sie angewiesen zu sein.

 

Ist eine Rückenorthese das richtige für meine Beschwerden?

Diese Frage kann nur eine Ärztin bzw. ein Arzt beantworten. Wenn Du Dich vor dem Arztbesuch über die Funktion und Wirkung einer Rückenorthese wie zum Beispiel der Miami LSO™, informieren möchtest, ist das Sanitätshaus vor Ort die richtige Adresse. Bei einem kostenlosen Orthesentest kannst Du den Effekt selbst ausprobieren und Dich individuell zu orthopädischen Hilfsmitteln beraten lassen. Wenn Du von der Wirkung Rückenorthese überzeugt bist, spricht Deine Ärztin bzw. Deinen Arzt darauf an.