In guten wie in schlechten Zeiten?


„Wenn Sie mit einer Prothese versorgt sind und die Reha absolviert haben, können Sie ein ganz normales Leben führen.“ Das waren die Worte der Prothesen-Ärztin im Klinikum vor der Amputation. Wir glaubten ihr.

Inzwischen liegt die Amputation des rechten Unterschenkels fast sieben Jahre zurück, und von dem „normalen Leben“, wie wir es vor dem Unfall hatten, ist nicht viel übrig.

Ein Beitrag von Claudia Hartlep

Die Zeit nach der Amputation

Nie vergesse ich den Moment, als ich in den Aufwachraum kam und sah, dass nur noch ein Bein mit der Decke zugedeckt war, das andere lag verkürzt und frei mit einem dicken Verband. Ein Schreck fuhr mir durch die Glieder, aber nur ganz kurz.

Ingo öffnete die Augen und lächelte mich an: „Claudi, wir bauen uns ein neues Haus, barrierefrei! Kümmerst Du Dich mal um ein Grundstück?“ Wir weinten beide.

Unsere Art, mit Problemen oder Tiefschlägen umzugehen, war schon immer – wir sind seit 42 Jahren verheiratet – nicht zurückzuschauen, sondern schnurstracks aktiv zu werden und neue Projekte anzugehen. So nahmen wir die neue Situation als gegeben hin und richteten den Fokus nach vorn.

Aufpassen musste ich in den darauffolgenden Wochen, den Spagat zwischen „liebevoller Pflege/Unterstützung“ und „Aufhucken“ hinzubekommen. Außerdem wollte ich so gern auch wieder etwas anderes in meinem Leben haben, nicht nur dieses Sorgen, Besorgen, Holen, Bringen, Fragen, Organisieren …, ein kleines Stückchen Normalität.

Zum Glück hatte ich mein eigenes Büro. Hier konnte ich mich ablenken und bei den Kundengesprächen mal nur ich sein, selbstverständlich immer das private Handy in unmittelbarer Nähe. 

Zu viel des Guten

Heute weiß ich, dass ich am Anfang zu viel gleichzeitig und richtig machen wollte. Ständig war ich dabei, etwas „aus dem Weg zu räumen“, nebenbei interessierte ich mich für den Aufbau der Prothese und suchte nach Möglichkeiten, womit wir uns ablenken konnten.

Ich versuchte, an Menschen ranzukommen, die in einer ähnlichen Situation sind, um von den Erfahrungen zu profitieren, aber das war schwierig. Unbedingt wollte ich eine Art Selbsthilfegruppe für Angehörige von amputierten Menschen gründen und suchte mir Unterstützung bei der uns betreuenden BG. Bei einem persönlichen Coaching dazu begriff ich, dass ich meinen Mann nicht unterstütze, wenn ich mich nur um ihn drehe, sondern dass ich meinen eigenen Weg damit finden muss, indem ich meine Wünsche berücksichtige und meine Stärken ausbaue.

Die guten und die schlechten Tage

Es gibt sie auch heute noch, die Schrecksekunden, wenn ich meinen Partner auf der Couch sitzen sehe mit nur einem vollständigen Bein. Ganz kurz tauchen Fragen auf: „Was ist denn da passiert? Bleibt das so?“ – aber das vergeht zügig. Ich weiß es ja längst.

 

Den Ehrgeiz und die Disziplin, mit der mein Mann von Anfang an seine neue Situation „durchzieht“, bewundere ich. Natürlich kommt es dabei auch zu Selbstüberschätzung und Rückschlägen. Am schlimmsten aber sind die Phasen, wenn Schmerzen alles bestimmen. Ich kann einerseits kaum helfen und andererseits das Schnaufen und die schlechte Laune kaum aushalten. Manchmal reißt mich seine Wut, dass ihm das alles passiert ist, mit. Das sind die schlechten Tage.

Es ist nicht mein Lieblingssatz, aber ich muss ihn dann sagen: „Denk daran, mein Leben hat sich am selben Tag geändert wie Deines!“

 

Freiheit durch das Wohnmobil

Die Sorgen, ob wir das alles auch im Alter noch so meistern, schleichen sich hin und wieder an. Wir haben mit dem barrierefreien Haus gut vorgesorgt, aber für weitere Planungen können wir jetzt keine Energien verbrauchen, denn wir müssen doch im „Hier und Jetzt“ leben. Besonders seit wir Wohnmobilist:in sind, gelingt uns das sehr gut, denn dieses Hobby haben wir uns gemeinsam erarbeitet und können es gemeinsam genießen.

Natürlich schwanke ich auch heute noch zwischen Aushalten und Abgrenzen, aber viel häufiger bin ich stolz darauf, wie wir beide unser jetziges Leben „normal“ gestalten.